Synthetische Biologie

Sven Panke (ETH Zürich)

Stand der Dinge international und in der Schweiz

Unter «synthetischer Biologie» werden üblicherweise Aktivitäten zusammengefasst, die aus der Biotechnologie eine «echte» Ingenieursdisziplin machen wollen. Es geht also um Verfahren, welche die Anwendung biologischer Systeme wie Zellen oder Gewebe auf Probleme der Chemie, Diagnostik oder Medizin nach klassischen ingenieurswissenschaftlichen Methoden ermöglichen. Dahinter steckt die Annahme, dass so der Bau von Prototypzellen erheblich beschleunigt werden kann, dass komplexere neue Eigenschaften in Zellen eingebaut und die Erfolgswahrscheinlichkeit solcher Aktivitäten stark erhöht werden können. Solche Methoden sind zum Beispiel die mathematischen Simulationen biologischer Prototypen vor deren Konstruktion, die Einführung von Standards bei der Verwendung biologischer Bauteile und Messmethoden oder die Trennung von Design und Ausführung. Der letztere Punkt bezieht sich insbesondere auf die sich rasch entwickelnde Möglichkeit, Erbmoleküle in bisher ungeahnter Länge (bis hin zu ganzen Chromosomen in einzelligen Organismen) chemisch synthetisieren zu lassen. Dadurch verwenden Bioingenieurinnen und -ingenieure mehr und mehr Zeit auf das Planen von Prototypen und lassen die aufwändige biologische Programmierung anderswo erledigen. In der Tat lässt sich beobachten, dass die biologischen Eigenschaften, die von Bioingenieurinnen und -ingenieuren kontrolliert, modifiziert oder gar völlig neu konstruiert werden, immer komplexer werden. Somit geraten permanent neue Anwendungsmöglichkeiten für synthetische Biologie in den Fokus, besonders in den Bereichen der chemischen Produktion, Diagnostik, Medizin und Pharmazie. Die Anwendungen sind vielfältig: Konstruktion von Genschaltkreisen, stark verbesserte Diagnostik und Therapie von Krankheiten wie Gicht, Diabetes und sogar Krebs, nachhaltigere Produktion von immer komplexeren Chemikalien oder gar völlig neuartige Überlegungen in Bereichen wie biologisch produzierte Hochleistungsmaterialien.

Konsequenzen für die Schweiz

Die Schweiz spielt in der jungen Disziplin der synthetischen Biologie eine Schlüsselrolle. Insbesondere die ETH Zürich hat mit dem Department für Biosysteme in Basel einen Hotspot für diese neue Disziplin aufgebaut, der von der Vernetzung mit der starken Pharmaindustrie profitiert und bei medizinischen Anwendungen und Simulationen weltweit führend ist. Aber auch andere Institutionen spielen eine prominente Rolle, basierend auf der Tradition einer exzellenten Schweizer Biotechnologie. Verschiedene Start-ups sind aus der ETH und anderen Institutionen hervorgegangen. Auch wenn die Schweiz im Bereich Ausbildung und Umsetzung sehr gut aufgestellt ist, muss sie der Weiterentwicklung Sorge tragen. Die Anforderungen an die Infrastruktur entwickeln sich rasant und es ist zu erwarten, dass der Wirtschaftsraum Schweiz schnell zu klein sein wird, um eine vollständige Infrastruktur zu gewährleisten. In Europa wird die synthetische Biologie nur in Grossbritannien mit ähnlicher Energie wie in der Schweiz vorangetrieben. Die Nachbarländer der Schweiz sind erheblich weniger weit fortgeschritten. Neue Entwicklungen in der Synthese von grossen Erbmolekülen, langfristig wahrscheinlich zentral für nachhaltigen Erfolg in der synthetischen Biologie, sind fast ausschliesslich auf die USA beschränkt.