Biokatalyse und Biosynthese

Rebecca Buller (ZHAW)

Stand der Dinge international und in der Schweiz

Der öffentliche Druck auf die chemische Industrie wird sich in Zukunft deutlich erhöhen: Es gilt nicht nur ökonomische Zielsetzungen in der langfristigen Unternehmensplanung zu berücksichtigen, sondern auch gesellschaftliche und ökologische Vorgaben in der Produktion zu erfüllen. Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt der letzten Dekade hat die Biokatalyse und Biosynthese, also die Anwendung von Enzymen und Mikroorganismen in der synthetischen Chemie, als praktikable und umweltfreundliche Ergänzung zur traditionellen organischen Chemie etabliert. Enzyme werden zum Beispiel zur Herstellung von chiralen, also nicht mit ihrem Spiegelbild zur Deckung zu bringenden Molekülen verwendet und, wo immer möglich, zur Vermeidung des Einsatzes von Schutzgruppen. Die Anwendung von Biokatalysatoren erlaubt es so, Prozessrouten zu verkürzen und auf diese Weise Kosten zu senken. Die Verwendung von günstigen Rohstoffen oder (landwirtschaftlichen) Abfallprodukten in biosynthetischen Prozessen ist eine zusätzliche Möglichkeit der Wertschöpfung. Biokatalytische Prozessschritte werden in der Herstellung pharmazeutischer Blockbuster- Moleküle angewendet und biosynthetische Ansätze werden genutzt, um Feinchemikalien wie Aromen, Duftstoffe und Nutraceuticals, aber auch Massenchemikalien aus nachhaltigen Rohstoffen herzustellen.

Ein zukünftiges Anwendungsfeld ist die Entwicklung neuartiger Chemikalien. Die Verbesserung des technologischen Reifegrads einer erweiterten Zahl von Enzymfamilien wird es der chemischen Industrie erlauben, zur organischen Chemie komplementäre Reaktionen durchzuführen und so die Palette der produzierbaren Moleküle zu ergänzen. Neben der industriellen Etablierung wenig erforschter Enzymfamilien können zu diesem Zweck beispielsweise Enzyme zum Einsatz kommen, die mittels computergestütztem Design hergestellt werden, oder solche, deren Reaktionsspektrum durch die Einbindung künstlicher Kofaktoren erweitert worden sind.

Biokatalyse dürfte zukünftig auch in der angestrebten Unabhängigkeit von fossilen Energiestoffen eine bedeutende Rolle spielen. Die Besorgnis über den Klimawandel sowie die Volatilität der Kosten fossiler Energie sind zu globalen Antriebskräften geworden, um Biomasse als Ressource für die Produktion zu nutzen. Eine effiziente Weiterentwicklung der biobasierten Wirtschaft beruht jedoch weitgehend auf der Etablierung eines umfassenden biokatalytischen und biosynthetischen Werkzeugkastens, der es erlaubt, verfügbare Biomasse in eine Vielzahl benötigter Produkte umzuwandeln.

Konsequenzen für die Schweiz

In der Schweiz widmen grosse Pharmaunternehmen, Feinchemieunternehmen und die Geruchs- und Geschmacksstoffindustrie bedeutende Teile ihrer enzymbasierten Forschung der Prozessentwicklung. Auch Auftragsfertigungsunternehmen wie CordenPharma Schweiz, RohnerChem und Siegfried sind immer mehr daran interessiert, ihre Expertise in chemischer Synthese mit biokatalytischen Kompetenzen zu erweitern, da eine Know-how-Entwicklung auf dem Gebiet der Biokatalyse als entscheidender Faktor für zukünftige Kundenakquirierung gilt. Es profitieren jedoch vor allem Grossunternehmen aktiv von dem, was die Biokatalyse zu bieten hat. KMU nutzen das Potenzial dieses aufstrebenden Feldes noch nicht vollständig. Hauptgründe für diesen Unterschied sind vor allem weiche Faktoren wie die limitierte Verfügbarkeit von geschultem Personal und die begrenztere F&E-Kapazität in kleineren Unternehmen. Um die Position der Schweiz in diesem Hightech-Sektor zu stärken, ist daher der Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entscheidend. Das vom Bund finanzierte Netzwerkprogramm Innovation in Biocatalysis, Teil der projektgebundenen Beiträge 2017–2020, fördert diesen Austausch und trägt zur Bildung einer dynamischen Biokatalyse- Community in der Schweiz bei. Weitere solche Programme werden benötigt, damit die Biokatalyse und die Biosynthese ihr volles industrielles Potenzial entfalten können.