Der digitale Zwilling

Pavel Hora und Niko Manopulo (ETH Zürich)

Stand der Dinge international und in der Schweiz

Virtuelle, d.h. von einem Computer simulierte Prozessabbildung gehört heute praktisch bei allen technischen Anwendungen zu den gängigen Hilfsmitteln der Planung, Dimensionierung und Optimierung. Bisher waren mehrheitlich rein deterministische, also bereits vorher bestimmbare, Betrachtungen üblich. Die Abbildung komplexer, verketteter Fertigungsprozesse hingegen stellt sowohl in Bezug auf die Modellgenauigkeit, die Rechenzeiten als auch das Datenmanagement eine grosse Herausforderung dar. Zur Durchführung der Berechnungen werden heute neben breit anwendbaren Programmen (General Purpose) auch immer mehr auf Spezialanwendung ausgerichtete Simulationstools (Special Purpose) eingesetzt, die einen vereinfachten Aufbau der virtuellen Modelle ermöglichen. Als ein neuer Trend zeichnet sich der direkte Einbezug virtueller Modelle in eine «smarte» Inline-Kontrolle der Prozesse ab. Sowohl auf Basis digital erzeugter Daten als auch durch Auswertung direkter Messdaten werden so genannte «digitale Zwillinge» aufgebaut, die ein Abbild des realen Prozesses darstellen. Sie sind das eigentliche «Gehirn» der intelligenten, selbstkorrigierenden Prozesse. Diese Entwicklungen sind ein wichtiger Baustein neuer Konzepte der Industrie 4.0.

Konsequenzen für die Schweiz

Über eine hohe Simulationskompetenz verfügen vor allem grosse Firmen mit hoch automatisierter, robotergestützter Produktion. Ein herausragendes Beispiel ist die deutsche Automobilindustrie, in der Prozesse der Industrie 4.0 bereits zu einem hohen Grad integriert sind. Bei vielen KMU in der Schweiz ist die Integration dieser Technologien viel weniger ausgeprägt. Sie verfügen weder über die erforderliche Simulationskompetenz noch über eine hinreichende Erfahrung bei der Entwicklung neuer, eigenständiger Softwaretools. Es ist zu erwarten, dass sich diese Firmen zu neuen Netzwerken zusammenschliessen werden, um die Digitalisierung zu beherrschen, da dies unterschiedlichste Kompetenzen voraussetzt. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderung geht einher mit einem hohen Bedarf an entsprechend ausgebildeten Fachkräften, weshalb die Nachfrage nach technisch orientierten Industrie-Informatikern steigen wird. Diese gilt es, in den nächsten Jahren auszubilden.