Auf der Suche nach dem perfekten gepflanzten Fleisch
Mit alten Verfahren wie Fermentieren und neuen Technologien gelingt es der Industrie immer besser, Fleisch aus Pflanzen nachzubilden – manchmal so gut, dass Konsument:innen nicht mehr sagen können, ob sie nun Fleisch oder Pflanzen essen. Der Migros stellt sich nun die Frage, ob ihre Kundschaft auch vegane Specktranchen mit dem typischen Fleisch-Fett-Muster essen will.
Sie und Ihre Kollegen aus der Entwicklung erforschen, wie man auf Basis von Pflanzenproteinen Fleisch- oder Milch-Analoge herstellen kann. Was essen Sie lieber – Fleisch oder Analoge davon?
Ich esse beides - wenn es kulinarisch überzeugt. Wenn ich etwa die veganen Schinkengipfeli der Migros an einen Apéro mitbringe, merkt wohl niemand, dass da kein Fleisch drin ist. Sie sind richtig gut. Die Lebensmittelindustrie erforscht und entwickelt intensiv Methoden, um aus pflanzlichen Rohstoffen möglichst gut schmeckende Alternativen zu Fleisch- oder Milchprodukten herstellen zu können.
Wie machen Sie das?
Wir greifen zum Beispiel auf traditionelle Methoden zur Lebensmittelproduktion zurück, um neue Produkte zu schaffen: Sojamilch lässt man, ähnlich wie bei der Käseherstellung, gerinnen und erhält so Tofu. Lässt man die gekochten Sojabohnen mit niedrigen Schimmelpilzen fermentieren, entsteht Tempeh. Tofu und Tempeh werden schon seit über Tausend, respektive über Hundert Jahren gegessen. Auch andere pflanzliche Rohstoffe wie Kirchererbsen können mit demselben Verfahren verarbeitet werden, etwa zu Tofu. Fermentieren oder auch Räuchern sind tolle Prozesse, die Geschmack geben und gleichzeitig die Haltbarkeit der Nahrungsmittel verlängern.
Die pflanzlichen Alternativen sind aber noch nicht so gut, dass Sie ganz auf Fleisch verzichten würden.
Das ist natürlich Geschmackssache. Ich gehöre zu jener Generation, die unter der Woche noch kaum Fleisch ass. Wir freuten uns die ganze Woche auf den saftigen Sonntagsbraten - Fleisch war für uns etwas Spezielles, manchmal auch eine Belohnung. Ich wertschätze Fleisch immer noch sehr, optimiere meinen Konsum aber zum Wohl der Tiere und der Umwelt.
Viele Fleischesser sagen, Tofu und Quorn seien eben fade. Wie wollen Sie diese für pflanzliche Alternativen begeistern?
Nicht nur Tofu oder Quorn, auch Fleisch muss gewürzt oder mariniert werden, damit es nicht fade ist. Ein Fleischtatar, das nicht gut abgeschmeckt ist, will keiner essen.
Die Migros baut das Sortiment von Produkten mit pflanzlichen Proteinen rasch aus, die Kundinnen und Kunden finden laufend neue Produkte in den Regalen. Ist die Nachfrage danach so gross?
Es kaufen längst nicht nur Vegetarier:innen oder Veganer:innen Produkte aus pflanzlichen Proteinen. Wir sprechen damit auch Personen wie mich an, die Fleisch vermehrt durch pflanzliche Proteine ersetzen, aber nicht ganz darauf verzichten wollen. Flexitarier:innen oder Flexiganer:innen also. Mit diesen Produkten bewegen wir uns von der Nische in den Mainstream. Dabei stellen wir fest, dass unsere Kund:innen mutiger werden und neben den etablierten Kategorien Milch- und Fleischersatz vermehrt auch pflanzenbasierte Alternativen im Bereich Süsswaren oder Snacks ausprobieren.
Was wissen Sie über diese Kund:innen?
Sie sind generell etwas jünger als die durchschnittliche Migros Kundschaft. Es sind mehrheitlich Frauen, mehrheitlich Personen aus urbanen Gebieten und sie verfolgen einen achtsamen Lebensstil. Die Konsument:innen achten dabei vor allem auf den Geschmack, auf das Aussehen und die Textur. Aber auch Herkunft, Bio-Qualität und nicht zuletzt der Preis werden zunehmend wichtiger.
Was sind die Megatrends bei den Pflanzenproteinen?
Die Trends zeigen sich bei den Rohstoffen und bei der Technologie, wo rasch Fortschritte gemacht werden. Wir forschen zum Beispiel daran, welche Produkte wir aus Erbsen, Kirchererbsen oder Ackerbohnen herstellen können. Oder wie wir pflanzliche «Abfälle» am besten nutzen. Besonders interessieren uns zurzeit die Presskuchen, die übrig bleiben, wenn aus Sonnenblumenkernen Öl hergestellt wird. Diese Presskuchen sind nahrhafte und sehr proteinhaltige Wertstoffe – und werden heute den Tieren verfüttert. Wir möchten sie nun verwenden, um Nahrungsmittel für den Menschen zu produzieren.
Welche Trends sehen Sie bei der Technologie?
Hier geschieht zurzeit sehr viel. So experimentiert man zum Beispiel, wie man mittels Präzisionsfermentation aus Zucker Fett herstellen kann. Oder wie man mithilfe von Hefe Milchproteine für veganen Käse herstellen kann. Wir möchten von den Konsument:innen mittelfristig auch erfahren, ob wir in eine Technologie investieren sollen, mit der man vegane Specktranchen mit dem typischen Fleisch-Fett-Muster herstellen kann.
In der Schweiz werden nur wenige Leguminosen angebaut. Woher bezieht die Migros ihre Rohstoffe?
Wo immer möglich beziehen wie sie in der Schweiz oder im nahen Ausland. Aber das ist noch nicht für alle Rohstoffe möglich. Wir stehen deshalb im Austausch mit den Anbauern und arbeiten mit den Lieferanten daran, die Transportwege zu verringern.
Haben Sie einmal einen Überflieger geschaffen? Ein Produkt, das alle haben wollten?
Ja, meine Kolleg:innen der Elsa Group haben das vegane Ei «V-Love The Boiled» entwickelt. Wir haben es im Herbst 2021 als vegane Alternative zu einem hartgekochten Ei lanciert. Das war nicht nur neu für die Schweiz, sondern für die ganze Welt. Selbst in Amerika wurde darüber berichtet. Wir wollten beweisen, dass wir das Kundenbedürfnis nach einer veganen Alternative zum Ei ernst nehmen. So ist die Marke V-Love innert zwei Jahren auf über 150 Produkte angewachsen.
Welche Produkte aus Pflanzenproteinen verkaufen sich am besten?
Das sind ganz klar Molkerei- und Fleischersatzprodukte. Verkaufszahlen geben wir aber keine bekannt
Die Kund:innen finden nicht nur viele neue vegane Produkte in den Regalen, etliche sind auch plötzlich wieder verschwunden. Sie investieren viel in die Entwicklung und Forschung. Zahlt sich das aus?
Das hohe Tempo in dieser Branche ist eine Herausforderung. Aber wir müssen ganz vorne mit dabei sein, wenn wir für die Zukunft gerüstet sein wollen. Das Potential, gerade von pflanzlichen Proteinen, wird als sehr gross eingeschätzt - Proteine sind ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Ein steigende Zahl der Konsument:innen möchte sie dem Klima und dem Wohl der Tiere zuliebe mehr aus pflanzlichen Produkten decken. Das ist ein Trend, der in den nächsten Jahren den Markt prägen wird.
Dennoch, es gibt noch immer viele Leute, für die ein gutes Stück Fleisch ein Statussymbol ist.
Das ist so, aber diese Kultur wird sich langsam ändern. Es wird mehr Leute geben, die ihren Gästen statt Bündnerfleisch und Rohschinken zum Beispiel ein Plättli mit verschiedenen Hummusvariationen auftischen.
Sie sagten, das hohe Tempo in der Branche ist eine Herausforderung. Was tun Sie, damit sie ganz vorne mithalten können?
Wir forschen an vielem, aber wir müssen nicht alles selber erfinden. Gerade im Bereich Plant Based entstehen viele Startups und Spin Offs von Hochschulen. In diese fliessen Millionen von Franken an Venture Capital. Die Migros Industrie hat sich, wie viele andere Lebensmittelproduzenten auch, an Startups beteiligt. Dabei stellen wir nicht nur das sogenannte Seed Money zur Verfügung, wir verfügen auch über die Einrichtungen, um die meisten Produkte im grossen Massstab selber herzustellen und im Detailhandel zu vertreiben.