01. März 2022

Bioökonomie – welche Optionen hat die Schweiz?

Hans-Peter Meyer - Rohstoffe, Weitere Themen

Heute verbrauchen wir fast 100 Millionen Barrel Öl pro Tag. Klimaaktives CO2 bereitet uns Sorgen. Die ölbasierte Wirtschaft ist eine Sackgasse und ein Wandel zu einer biobasierten Wirtschaft ist seit 20 Jahren im Gespräch. Welche Optionen gibt es?

In den Zeiten vor dem Automobil wurde für die Ernährung der Pferde eine ebenso grosse Agrarfläche benötigt wie für die der Menschen. Die Entsorgung des Pferdekots in Städten wie Paris oder London war eine grosse Herausforderung, und dies obwohl sich nur wohlhabende Leute ein Pferd leisten konnten. Heute verbrauchen wir fast 100 Millionen Barrel Öl pro Tag. Anstatt Pferdeäpfel bereitet uns klimaaktives CO2 Sorgen. Die ölbasierte Wirtschaft ist eine Sackgasse und ein Wandel zu einer biobasierten Wirtschaft ist seit 20 Jahren im Gespräch. Wie geht es jetzt weiter? Welche Optionen gibt es?


Die Basis jeder Bioökonomie: die Land- und Forstwirtschaft 

Das Fundament einer Bioökonomie ist der Primärsektor. Nur, die nutzbare Ackerfläche ist begrenzt. Daten der World Bank Group zeigen, dass die pro Kopf verfügbaren anbaufähige Landwirtschaftsflächen zwischen 1961 und 2018 weltweit um etwa 20 Prozent abnahmen. Laut Bundesamt für Statistik nahm diese in der Schweiz in den letzten 30 Jahren um fast 700 Quadratkilometer ab und beträgt aktuell noch 14'525 Quadratkilometer, oder 1800 Quadratmeter pro Einwohner:in. Auch der Selbstversorgungsgrad der Schweiz mit Nahrungsmitteln nimmt laufend ab und betrug 2019 noch 57 Prozent.  


Die Schweiz ist reich an armen Rohstoffvorkommen

«Feed, fuel and heal the world» ist ein oft kolportierter, optimistischer Slogan für biobasierte Wertschöpfungsketten. Dem stehen jedoch schwindende globale Bioressourcen gegenüber. Die Schweiz war schon immer ein Land reich an armen Rohstoffvorkommen, deshalb hat sich der Bergbau in der Schweiz nie richtig gelohnt. Was vor mehr als hundert Jahren für den Bergbau galt, trifft heute auch auf die biobasierten Rohstoffvorkommen zu. Die Biomasseressourcen der Schweiz wurden 2017 von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) quantifiziert. Die Quintessenz: Wir verfügen über eine geringe Quantität von allen Rohstoffen, aber aus industrieller Sicht über zu wenig und im besten Fall über genug für Nischenaktivitäten. Das einzige namhafte nachwachsende Rohmaterial, das die Nahrungsmittelproduktion nicht tangiert, ist Holz. Von wirtschaftlich nutzbaren 8 Millionen Kubikmetern jährlich werden lediglich 4,8 Millionen Kubikmeter abgeholzt. Das Initiierungsprojekt NFP 66 «Bioökonomie Schweiz», Ressource Holz 2018 schloss deshalb mit der Empfehlung, eine nationale Bioökonomiestrategie zu erarbeiten und ein Kompetenzzentrum für Bioprodukte aufzubauen. Allerdings sind auch diese Mengen Holz viel zu gering, um als Ausgangsstoff für eine Bioökonomie zu dienen. 

Opportunitäten, neue Anwendungen, neue Produkte

Ein Kompetenzzentrum für Bioprodukte braucht es nicht, da die notwendigen Kompetenzen an unseren Hochschulen, der EMPA, dem PSI und anderen Institutionen vorhanden sind. Die Kernfrage aber lautet, welche Märkte, Anwendungen und Produkte sollten Priorität haben? Die Umwandlung und Veredelung von importierten biobasierten Rohmaterialien oder der Export von entsprechenden Verfahren ist eine naheliegende Möglichkeit. Die Tabelle unten zeigt noch andere Beispiele weniger bekannter Märkte und Anwendungen, wo die Biotechnologie einen Beitrag für die Bioökonomie leisten kann. Eine nationale Bioökonomiestrategie und entsprechende umfangreiche Datenanalyse und Situationsanalyse lässt sich nur in einem grösseren Verband bewerkstelligen – z. B.  mit der SATW, Swiss Biotech Association, scienceindustries, dem Bundesamt für Umwelt BAFU etc. 


Beispiele weniger bekannter Anwendungen Biotechnologie und Bioökonomie

Tierischer Proteinersatz

Neben pflanzlichem Fleisch und Milchprodukten werden bald zellbasierte Fleisch- und Milchprodukte auf den Markt kommen.  

Biozement 

Baubiomaterialien. Mikrobiell induzierte Calcitzementierung (MICC), Zement- und Betonzusätze.

Biofasern und Biopolymere

Von medizinischen Anwendungen bis hin zu Lebensmittelverpackungen. Rekombinante Seide, Polyhydroxyalkanoate und andere Produkte.

Bioschmierstoffe

Umweltfreundliche Produkte für z. B. Windkraftanlagen, die ca. 1000 Liter Schmieröle und 200 Kilogramm Fett pro Jahr verbrauchen.

Biomonitoring

Die riesige Oberfläche von z. B. Moosen für das Monitoring von Schwermetallen wie Cadmium, Blei oder Nickel nutzen.

Bioorthogonale Reaktionen       

Erweiterte genetische Codes und nicht-kanonischer Aminosäuren (L-Nukleotide und D-Aminosäuren) für eine Spiegelbildbiologie und künstliche Enzyme.

Bioremedianzen

Entgiftung von Umweltschadstoffen. Biosanierung und Wiederherstellung von Böden, Wasser und Luft.

Halogenierte Produkte

Ersatz der chemischen Halogenierungsverfahren durch spezifische und selektive enzymatische Halogenierung.

Hyperthermophile Organismen

Hyperthermophyle (über 80° C) Mikroorganismen zur Herstellung von Chemikalien. 

Lederähnliche Textilien

"Victimless-Leder" auf Basis von Myzelien aus Pilzen oder zellbasierter Lederproduktion.

Mikrobielle Brennstoffzelle (MFC)

Mikrobielle Brennstoffzellen oxidieren Biomasse und organisches Material und können z. B. zur Phosphatrückgewinnung eingesetzt werden.

Solarbetriebene Biotechnologie

Solarlicht für die mikrobielle Herstellung von ungesättigten Fettsäuren und anderen Produkten.

Nachhaltige Farben            

Farben für Lebensmittel, Textilien und andere Anwendungen. 

 

Die Hebelkraft von Blockchain nutzen

Innovation ist nicht nur im Labor gefragt. Es braucht auch ein neues Denken, wie wir zusammenarbeiten. Es braucht neue bahnbrechende Instrumente und Methoden der Zusammenarbeit. Die Expertinova AG plant, gemeinsam mit dem Blockchain Lab der Hochschule Luzern und unter der Mitarbeit des Swiss Industrial Biocatalysis Consortium (SIBC) eine Blockchain-basierte Plattform zu entwickeln, um die Produkt- und Prozessentwicklung radikal zu beschleunigen. Ein ähnlicher Ansatz verfolgte auch die Gründung des SIBC im Jahr 2004 durch sechs grosse Schweizer Firmen. Aber die Informatikhilfsmittel und Methoden erwiesen sich als völlig ungenügend. Das geplante Blockchain-Projekt soll einen Raum für eine nutzbare kollektive Intelligenz schaffen, die das Finden und Umsetzen von nachhaltigen Lösungen und Produkten für unsere Gesellschaft wie auch eine nachhaltige Zukunft ermöglicht und beschleunigt.

Fühlen Sie sich angesprochen? Dann kontaktieren Sie uns bitte!

Hans‐Peter MeyerExpertinova AG, SATW Mitglied, Themenplattform «Biotechnologie»
 

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