Neues Fahrzeugkonzept für urbane Mobilität
Das Institut für Virtuelle Produktion an der ETH Zürich hat zusammen mit der Fachrichtung Industrial Design der ZHdK ein innovatives Fahrzeugkonzept für Städte entwickelt. Das Resultat überzeugt nicht nur technisch, sondern auch ästhetisch. Die SATW hat die Entwicklung des Konzepts finanziell gefördert.
Expertinnen, Experten sowie Einzelmitglieder der SATW können jährlich Anträge für persönliche Projektideen einreichen. Diese passen entweder zu den Schwerpunktprogrammen der SATW oder behandeln ein anderes aktuelles, für die SATW relevantes Thema. Professor Pavel Hora, Vorsteher des Institut für Virtuelle Produktion an der ETH Zürich und Betreuer der Formula Student Electric Gruppe, hat 2017 einen solchen Antrag gestellt. Dabei ging es um die Entwicklung des Antriebs und Designs der Fahrzeuge im Rahmen eines grösseren Projekts zur Entwicklung eines urbanen und umweltfreundlichen Mobilitätskonzepts, das den individuellen Mobilitätsbedürfnissen gerecht wird. Entstanden ist das Konzept «Intelligent Transport Cubes – iTC» für Städte mit komplexer Topologie. Im Unterschied zur heute im Vordergrund stehenden Elektromobilität basiert es auf Brennstoffzellentechnologie, was grosse Vorteile mit sich bringt: Neben einer effizienteren Energiespeicherung und Minderung des Rohstoffbedarfes ist auch die erforderliche Infrastruktur realisierbar.
Herausforderungen im städtischen Strassenverkehr meistern
Die individuelle Mobilität wird heute weitgehend durch Automobile abgedeckt. Hohe Schadstoffemissionen, dichter Stadtverkehr und zugeparkte Strassen sind die Folge. Der weltweite Trend der Urbanisierung und steigende Mobilitätsbedürfnisse dürften diese Probleme künftig weiter verschärfen. Somit braucht es neue Mobilitätskonzepte für Städte, welche die Kapazität der bestehenden Infrastruktur erhöhen – möglichst emissionsfrei und ressourcenschonend. Beim Ersatz von Verbrennungsmotoren stellt sich natürlich die Frage der Energieerzeugung: So ist ein Elektrofahrzeug nicht umweltfreundlicher als ein Dieselfahrzeug, wenn der für den Betrieb nötige Strom vornehmlich aus fossilen Energieträgern stammt. Zudem ist die Fertigung grosser Batterien mit enormen CO2-Emissionen behaftet. Bei der Sonnen- und Windenergie besteht wiederum das Problem der Speicherung. Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Metallen wie Kobalt, Nickel und diversen seltenen Erden haben sich die ETH-Forscher unter der Leitung von Pavel Hora gegen eine reine Batterie-Lösung entschieden, wie derzeit von der Automobilindustrie favorisiert. Stattdessen basiert ihr Antrieb auf einem bereits heute realisierbaren Brennstoffzellen-System (PEMFC) mit synthetisch hergestelltem Wasserstoff (H2) als Speichermedium.
Entwicklung des Antriebs
Für ihr H2E-Antriebskonzept haben die Forscher verschiedene Anforderungen errechnet, die sich an der europäischen Gesetzgebung für bestehende Fahrzeuge orientieren sowie an den Rahmenbedingungen des Grossraums Zürich. Neben der CO2-Neutralität ergaben sich somit präzise Anforderungen bezüglich Abmessung, Betriebsbedingungen, Kapazität und Reichweite der Fahrzeuge sowie Geschwindigkeits- und Höhenprofil. Das Antriebsmodul besteht aus einer Kombination der H2-Energieversorgung mittels Brennstoffzellen und dem Elektroantrieb. Somit handelt es sich um H2E-Fahrzeuge mit Batterie. Im Unterschied zu Elektrofahrzeugen hat sie aber nur die Funktion eines Zwischenspeichers und ist somit viel kleiner. Weitere Komponenten sind die Wasserstofftanks, eine komplexe Systemsteuerung, welche die Energieversorgung regelt, sowie Elektromotoren, platzsparend in den Radnaben verbaut. Die Module sind so angeordnet, dass in der Mitte ein möglichst grosser «Transport Cube» Platz findet.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Während sich die ETH-Forscher auf die technischen Aspekte konzentrierten, entwarf Claudia Polli, Studentin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), im Rahmen ihrer Bachelorarbeit das Industriedesign. Wichtigste Anforderung war die Nutzung der Fahrzeuge als «Shared Service» zum Transport von Personen und Waren. Aufgrund der unterschiedlichen Nutzerszenarien entschied man sich für einen modularen Aufbau und eine Trennung von Antrieb und Kabine. Das Antriebsmodul kann also sowohl Personen- wie auch Cargomodule transportieren. Aus Sicherheitsgründen und zur einfachen Wartung ist die Wasserstofftechnik von der Kabine getrennt und von aussen zugänglich. Da für den autonomen Betrieb weder Pedale noch Steuerrad nötig sind, bestand für den Innenraum grosse Gestaltungsfreiheit. «Das Design soll Vertrauen schaffen», so Claudia Polli. «Antriebsmodul und Kabine ergeben gemeinsam eine möglichst ‹smoothe› Form, ein in sich geschlossener, ruhiger Körper. Scharfe Kanten und starke Trennungen wirken aggressiv und könnten davor abschrecken, ein solches Fahrzeug zu nutzen. Der Unterschied zwischen Cargo- und Personenmodul soll klar ersichtlich sein und trotzdem soll man sehen, dass sie aus der gleichen Familie stammen.» Die Bestellung eines iTCs erfolgt mittels App. Personen können das iTC als Taxi bestellen, für Sightseeing-Touren buchen, als Transportmittel für ihren Umzug oder um Waren autonom zu einem bestimmten Abgabeort zu senden. Praktisch alle denkbaren Nutzungen sind dank modularem Aufbau abgedeckt.
Ist die Technologie schon reif?
Werden iTCs schon bald auf Zürcher Strassen verkehren? «Viele bisherige Prognosen punkto Elektromobilität oder Brennstoffzellenfahrzeuge erwiesen sich als zu optimistisch», so Pavel Hora. Das liege aber weniger an der Technologie als an den Erfolgsaussichten für die Autoindustrie und der Akzeptanz der Kunden. «Allerdings sind die Fertigungskosten für Brennstoffzellenantriebe noch zu hoch. Da sind wir als Ingenieure gefordert!» Pavel Hora erwartet, das PEMFC und anderen Komponenten des Antriebs mit hohen Stückzahlen künftig viel günstiger werden. Eine wichtige Rolle spiele die Industrie als Zulieferer. Doch haben wir in der Schweiz den Anschluss bei der Brennstoffzellentechnologie nicht schon verpasst? «Es ist klar, dass insbesondere Deutschland die Entwicklung neuer Fahrzeugantriebe massiv staatlich fördert», gibt Pavel Hora zu bedenken. Er und sein Team entwickeln mit einem Industriepartner die Fertigungstechnologie für die im PEMFC verbauten Bipolarplatten. Eine markante Produktionssteigerung und Kostensenkung seien da absehbar. Man könne hierzulande in vielen relevanten Bereichen wie Elektromotoren oder Energiemanagement auf Spitzentechnologien zurückgreifen und stehe der deutschen Industrie in nichts nach. «Warum denken wir nicht über eine ‹grüne› Automobilindustrie in der Schweiz nach?», fragt der Professor provokativ.
Gesamtheitliche Lösung gesucht
Im Rahmen des Projekts wird nicht nur ein Fahrzeug entwickelt, sondern ein Gesamtkonzept, das Mobilität gekoppelt mit Fragen zur Infrastruktur und Energieversorgung betrachten. Da wir den CO2-Austoss global kurzfristig senken müssen, sind nur technisch verfügbare Lösungen anwendbar. Wie eine BFE-Studie bereits 2013 aufzeigte, ist in der Schweiz kurzfristig eine Wasserstoffversorgung für 50‘000 Fahrzeuge mit einer Fahrleitung von 15‘000 km realisierbar. Beim Aufbau von H2-Tankstellen rechne man heute mit rund 1,2 Mio. Franken Kosten pro Säule. Da das Tanken von H2 nicht viel anders ablaufe als bei Benzin, könnten die Tankstellenbetreiber ihre Infrastruktur weiter betreiben. Wichtig für den Endverbraucher ist die Tatsache, dass heute 1 kg Wasserstoff rund 10 Franken kostet und man damit rund 100 km weit kommt. «Verbraucher müssen ihr Verhalten nicht ändern und fahren trotzdem ohne CO2-Austoss.» Reine Elektromobilität bedeute dagegen eine Auslagerung der Probleme auf andere Ebenen. «Das von uns entwickelte Konzept ist eine umsetzbare Alternative!»
Auskunft
Prof. Dr. Pavel Hora, Institut für virtuelle Produktion, Tel. 044 632 71 98, pavel.hora(at)ivp.mavt.ethz.ch
Schlussbericht «SATW Neue Fahrzeugkonzepte für urbane Mobilität in Smart Cities»
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