Tage der Technik im Zeichen von Green Engineering
Mit Technik gegen den Klimawandel – so der Titel der Hauptveranstaltung der Tage der Technik 2019. Technik alleine wird uns nicht retten, doch sie kann einen wichtigen Beitrag leisten. Dafür braucht es Innovationen sowie die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen.
Gabriele Dobenecker, Empa, begrüsste am 24. September rund 250 Gäste in der Empa-Akademie. Der Klimawandel erfordere grosse Anstrengungen und die Schweiz könne als «Innovationsweltmeister» einen wichtigen Beitrag leisten. Welche Massnahmen braucht es, fragte sie die Gastgeber: Für Beat Dobmann, Zentralpräsident Swiss Engineering, ist die Internalisierung externer Kosten wichtig, denn Selbstverantwortung funktioniere hier nicht: «Wir leiden alle noch zu wenig.» Für Brigitte Buchmann, Direktionsmitglied Empa, steht die CO2-Reduktion im Zentrum. Im Gebäudebereich habe man bereits viel erreicht, anders bei der Mobilität. Zudem dauere es von der Innovation zur Anwendung zu lange. Dies müsse mit Anreizen beschleunigt werden. Laut SATW-Generalsekretär Rolf Hügli braucht es neben High- auch mehr Low-Tech-Massnahmen, die man schon heute umsetzen kann.
Resilienz erhöhen
In seinem Referat äusserte ETH-Professor David N. Bresch die Sorge, dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen, auch weil wir Prozesse wie die Versauerung der Ozeane noch nicht vollständig verstehen. Die Schweiz erwärme sich etwa doppelt so schnell wie der globale Schnitt. Mit Verweis auf die «Klimaszenarien für die Schweiz» warnte er vor höheren Temperaturen sowie intensiveren und häufigeren Niederschlägen, was mehr Hochwasser zur Folge habe. Das Risiko als Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Tragweite sei um die Faktoren Exponierung und Verletzbarkeit zu erweitern. In vielen Normen werde dies nicht berücksichtigt. Anhand des Sihl-Entlastungsstollens zeigte er, wie viel es bisweilen kostet, die Resilienz zu erhöhen. «In der Schweiz können wir uns das leisten, anderswo nicht.» Unser Land habe für sich betrachtet eine hohe Resilienz, in Bezug auf die internationale Vernetzung steige die Verletzlichkeit jedoch stark.
Vielversprechende Ansätze aus der Schweiz
Anschliessend ging es um konkrete Projekte. Den Auftakt machte Andrew Bollinger von der Empa. Er entwickelt Methoden und Algorithmen zur Planung optimaler Energielösungen für Areale oder Städte. «Energy-Hub Modelling» heisst der Ansatz, bei dem die verfügbaren Ressourcen und Technologien analysiert und mathematisch optimiert werden. Anhand konkreter Szenarien zeigte er auf, dass so grosse CO2-Reduktionen möglich sind, ohne hohe Zusatzkosten. Michael Koller, Leiter Technologiemanagement beim EKZ, zeigte die Bedeutung von Batteriespeichern auf. Der Preis von Lithium-Ionen-Batterien ist innert weniger Jahren stark gesunken. So hat das EKZ errechnet, dass es inzwischen möglich sei, kommerzielle Systeme zu bauen. Das hat man 2018 in Volketswil gemacht (18,8-MW-Anlage). Hauptanwendung sei die Frequenzregelung: Eine grosse Batterie könne schnell und exakt reagieren. In der mittleren Kategorie (20‒1000 kW) für Industrie und Gewerbe steht das Lastspitzenmanagement im Fokus und bei Privathaushalten (1‒20 kW) sind es Wärmepumpen oder Elektroautos.
Innovative Start-ups stellen sich vor
Drei Schweizer Start-ups hatten dann Gelegenheit, ihre Innovationen vorzustellen. Nathalie Casas, Leiterin F&E bei Climeworks, präsentierte, wie das ETH-Spin-off CO2 aus der Luft filtert. Sie erklärte das Vakuum-Temperaturwechsel-Adsorptionsverfahren: Luft wird angesaugt und das CO2 bleibt im Filter hängen. Ist dieser gesättigt, wird das Gerät auf 100 Grad Celsius erhitzt und das CO2 an den Sammelbehälter abgegeben. 2017 hat man zwei Anlagen in Betrieb genommen: Jene in Hinwil ist der «Shootingstar», jene in Reykjavik die weltweit erste grosstechnische Anlage für «Direct Air Capture with Carbon Storage». Dort wird CO2 nicht nur gefiltert, sondern auch gebunden. Die Anlage wird durch ein Geothermie-Kraftwerk versorgt, kann rund 135 kg CO2 pro Tag absondern und im Untergrund mineralisieren.
Philipp Dietrich, CEO H2 Energy AG, sprach über Wasserstoff-LKWs als Wegbereiter einer emissionsfreien Mobilität. Dazu braucht es nicht nur Fahrzeuge mit Brennstoffzellen, sondern ein komplettes System mit Tankstellen, Logistik etc.. In einem Joint-Venture mit Hyundai startet man Ende 2019 in der Schweiz mit 34-Tonnen-LKWs. Ein Pay-per-Use-Modell soll das Angebot attraktiv machen: Der Fixpreis pro Kilometer umfasst Reparatur, Service, Treibstoff und alle anderen Kosten. Der Schweizer Wasserstoff-Förderverein baut ein flächendeckendes Tankstellennetz auf, zunächst entlang der Ost-West-Achse. Mit den Erträgen des LKW-Betriebs soll später das PKW-Netz finanziert werden. Für den Aufbau des Systems hierzulande sprechen u.a. politische Rahmenbedingungen (z.B. LSVA) sowie der starke Forschungsstandort.
Adrian Burri, Gründer und CEO der Share your BICAR AG, präsentierte, wie er die Lücke zwischen Auto und Velo schliessen will. 50 Prozent aller Autofahrten seien unter 5 km. Deshalb brauche es für kurze Distanzen eine adäquate Alternative. Da im Schnitt nur 1,1 Personen im Auto sitzen, habe man ein Fahrzeug für Einzelpersonen entwickelt. Im Vergleich zu Benzinfahrzeugen verursacht ein BICAR bis zu 37 Mal weniger CO2-Emissionen im Betrieb. Man orientiere sich am Cradle-to-Cradle-Prinzip: Verbaut werden wiederverwertbare Materialen und das Unternehmen nimmt ausgemusterte Fahrzeuge zurück. Der Markteintritt ist für 2021 geplant.
Fördern ja – nur wie?
Die lebhafte Podiumsdiskussion leitete Karin Frei. Im Zentrum stand die Frage, wie man ökologische Innovationen fördern soll. Laut Brigitte Buchmann müsse man bei der Umsetzung von Innovationen «weltmeisterlicher» werden. Ständerat und Unternehmer Ruedi Noser wies auf einen Passus im neuen Klimafonds hin, wonach die Transformation gefördert werden soll. Er appellierte an die anwesenden Ingenieurinnen und Ingenieure, gross und positiv zu denken. «In Cleantech sind wir Weltspitze, müssen aber mehr Mut haben. In der Schweiz sprechen wir fünf Minuten über Lösungen und 50 über Probleme. In den USA ist es umgekehrt.» Martin Wörter von der KOF relativierte: Die Schweiz stehe bezüglich Patente zwar gut da, Cleantech falle relativ zu anderen Bereichen aber ab.
Laut Philippe Müller, Leiter Forschung und Cleantech beim BFE, ist die Schweiz in der Forschung Spitze, doch bringe man Innovationen nicht so gut in den Markt wie einst. Ein Grund ist aus Sicht von Peter Morf, Hightech Zentrum Aargau, dass viele Investoren risikoscheu sind. Philippe Müller stimmte zu und ergänzte, die Förderlandschaft sei stark fragmentiert: Eine Konsolidierung könnte helfen. Gemäss Brigitte Buchman gibt es genügend Förderung in der präkompetitiven Phase, jedoch nicht danach. Peter Morf erwähnte die US-amerikanische Förderinstitution ARPA-E als gutes Beispiel: Im Rahmen thematischer Ausschreibungen können sich Firmen oder Forschende um Gelder bewerben. Bei Erfolg werden sie auch direkt weiterfinanziert. Laut Ruedi Noser könnte das Innosuisse auch so machen, Bundesämter sollen aber keine solchen Strukturen aufbauen. Philippe Müller stimmte zu: «Start-up-Förderung ist nicht unsere Sache, das müssen Private machen.» Gut funktioniere z.B. die Förderung mittels Inkubatoren, sofern diese eine kritische Grösse haben. In der föderalistischen Schweiz sei dies aber oft schwierig. Ruedi Noser betonte, dass etablierte Firmen Haupttreiber von Innovation seien und nur selten Start-ups. Peter Morf ergänzte, dass KMU häufig besser skalieren können. Brigitte Buchman erwähnte das NEST, wo Forschende und Unternehmen kooperieren: Dies gebe letzteren die Sicherheit, dass neue Konzepte funktionieren.
Mehrheit für Lenkungsabgaben
Im Cleantech-Bereich gebe es keine funktionierenden Märkte, so Martin Wörther. Da die Umwelt keinen Preis habe, sei es billiger, sie zu verschmutzen, als neue Lösungen zu entwickeln. Brigitte Buchmann plädierte für CO2-Abgaben bei der Mobilität. Ruedi Noser zeigte sich skeptisch: «Wenn Lenkungsabgaben nicht wehtun, wirken sie nicht. Doch die Demokratie wird nie schmerzhafte Abgaben beschliessen. So ist die politische Realität.» Philippe Müller pflichtete bei: Es brauche tragfähige Kompromisse zwischen Klima- und Wirtschaftspolitik. Das Publikum widersprach zum Teil vehement: Die Politik müsse Anreize setzen, um ökologische Kosten zu internalisieren. So befürworteten auch die meisten Podiumsgäste eine CO2-Abgabe. Peter Morf wünscht sich zudem einen Schweizer Fonds à la ARPA-E und verbindliche, beständige Regeln, damit Firmen Planungssicherheit hätten. Philippe Müller stimmte zu, dass eine Lenkungsabgabe das Beste wäre, gab aber zu bedenken, dass die Politik mit dem Vorhaben zweimal gescheitert ist. «Die Bevölkerung muss mitmachen.» Ein Appell, der beim Publikum wohl angekommen ist.
Kontakt:
Adrian Sulzer, Leiter Kommunikation und Marketing, Tel. +41 44 226 50 27, adrian.sulzer(at)satw.ch
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