Forum «Autonomes Fahren»: Die Zukunft ruft
Am 12. Juni 2017 haben am SATW-Forum ausgewiesene Fachleute kontrovers über «Autonomes Fahren» diskutiert. Grundlage der Debatten waren vier Inputreferate zu den technischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten.
Rund 20 Expertinnen und Experten aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung diskutierten am SATW-Forum in Zürich das Thema «Autonomes Fahren». Nach der Begrüssung durch SATW-Präsident Willy Gehrer führte Prof. Wolfgang Kröger, ETH Zürich, ins Thema ein. Er zeigte die Stufen des autonomen Fahrens auf: von assistiert über automatisiert bis hin zu autonom, also ohne Fahrer. Zugleich warf er Fragen auf: Sind autonome Fahrzeuge technisch machbar und wenn ja, ab wann? Was sind die Auswirkungen im Strassenverkehr? Was braucht es für rechtliche Rahmenbedingungen? Werden sie von der Gesellschaft akzeptiert?
Zusammenspiel vieler Technologien
Prof. Roland Siegwart, ETH Zürich, und Dr. Helge Neuner von VW thematisierten die technische Machbarkeit. Ein GPS reicht nicht, um autonomes Fahren zu ermöglichen. Zwar kennt es die ungefähre Position, die Genauigkeit ist aber unzureichend. Es braucht zusätzliche Technik für eine zentimetergenaue Bestimmung: Radar, 3D-Laser, Kameras und selbstlernende Software. Durch das Zusammenspiel dieser Komponenten kennt das Fahrzeug seine genaue Position, kann die Umgebung wahrnehmen und in antrainierten Situationen angemessen reagieren. Problematisch bleiben Überraschungsmomente wie ein Kind, das plötzlich auf die Strasse rennt. Mit der heutigen Technik können autonome Fahrzeuge lediglich in wenig komplexen Umgebungen wie Autobahnen mit hoher Geschwindigkeit fahren. In einer städtischen Umgebung sind nur tiefe Geschwindigkeiten möglich. Zentral wird sein, dass das Situationsverständnis autonomer Fahrzeuge und die Interaktion untereinander sowie mit Fussgängern verbessert wird. Nur dann erhöhen autonome Fahrzeuge die Sicherheit. Dies muss allerdings erst nachgewiesen werden. In den USA sterben 1.09 Personen pro 100 Millionen gefahrener Kilometer. Um die Sicherheit mit einer Zuverlässigkeit von 95 Prozent zu zeigen, müssten 100 autonome Testfahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 25 mph 12.5 Jahre pausenlos fahren.
Die Referenten erläuterten die riesige Chance für Grossstädte: Feldversuche in Singapur und Lissabon zeigen, dass autonome Autos, die dank Sharing-Prinzip optimal ausgelastet werden, den Bedarf an Fahrzeugen um 90 Prozent reduzieren. Zugleich braucht es deutlich weniger Parkplätze. Die folgende Diskussion drehte sich mehrheitlich um Sicherheitsaspekte. Die Zuverlässigkeit der Sensortechnik und selbstlernende Steuerungssystemen gaben am meisten zu reden. Aller Skepsis zum Trotz sind die Referenten überzeugt, dass automatisierte Fahrzeuge relativ bald auf den Strassen verkehren werden.
Versicherungstechnische und rechtliche Unklarheiten
Patrick Bayer von der Mobiliar-Versicherung verglich die heutige Haftungsregelung mit einem linearen Prozess: Im Schadensfall hat der Geschädigte ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters, welche allenfalls auf den Fahrzeughersteller Regress nehmen kann. Dies kann grundsätzlich auch bei autonomen Fahrzeugen so funktionieren. Gibt es aber keinen Lenker mehr, stellt sich die Frage, ob der Passagier irgendeine Verantwortung übernehmen kann. Dies ist zu klären, und die entsprechenden Gesetze sind anzupassen. Für die Versicherungen zentral sind neue, schwierig abschätzbare Risiken: Cyberangriffe, Systemzuverlässigkeit, Datenhoheit sowie die Interaktion von Mensch und Fahrzeug in der Übergangsphase. Die Einführung autonomer Fahrzeuge wird Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Versicherer haben: Die Anzahl Schadenfälle wird zurückgehen, deren Volumen aber steigen; neue Risiken werden finanzielle Verpflichtungen mit sich ziehen, und Versicherer benötigen für die Schadenevaluation neue Kompetenzen.
Die Schuld- und Haftfrage wurde angeregt debattiert. Ohne Fahrer greift das Strafrecht in seiner heutigen Form nicht mehr. Ist ein Schadensfall jedoch mit einem Personenschaden verbunden, wird diese Auslegung gesellschaftlich kaum akzeptiert werden. Es wird somit absolut essentiell, ob das System oder der Fahrer fährt. Dies zu ermitteln, ist dank Fahrtenschreibern einfach. Die Gesetzgebung ist anzupassen, auch wenn die finalen Anforderungen noch nicht feststehen. Sie muss z.B. festhalten, dass Fahrer anderen Aktivitäten nachgehen dürfen, sobald das System übernimmt. Die Haftfrage muss so geregelt werden, dass nicht die ganze Haftung auf die Halter abgeschoben wird. Die Hersteller müssen Verantwortung übernehmen.
Neue Mobilitätskonzepte als Chance
Laut Fabian Ladda von Uber braucht es einen Sinneswandel, bevor autonome Fahrzeuge eine Chance haben. Momentan wollen alle ein eigenes Auto besitzen – auch wenn es 95 Prozent der Zeit stillsteht. Die Sharing-Mentalität muss sich durchsetzen. Versuche zeigen, dass Personen in städtischen Agglomerationen vor allem für die erste und letzte Meile auf den Privatverkehr setzen, innerhalb der Stadt aber den öffentlichen Verkehr bevorzugen. Genau da liegt die Chance: Autonome Fahrzeuge eignen sich hervorragend, um die erste und letzte Meile in Carpools zurückzulegen. Voraussetzung ist allerdings, dass Carpool-Anbieter und öffentlicher Verkehr ihre Dienste auf einer gemeinsamen Sharing-Plattform anbieten. Dies war eine Steilvorlage für die Vertreter von Mobility und SBB: Silena Medici von Mobility beobachtet einen Sinneswandel bei der jungen Generation, betonte aber die Wichtigkeit einer zentralen Plattform. Für die SBB ist klar, dass sie die Herausforderungen nur mit neuen Modellen meistern kann. Von autonomen Fahrzeuge profitieren Pendler besonders: Die Zeit zwischen Zuhause und Arbeitsort kann beliebig genutzt werden, da das eigentliche Fahren wegfällt. Autonome Fahrzeuge können somit als «Wohn- und Freizeitraum» gesehen werden. Aber braucht es dann noch öffentlichen Verkehr? Und wie sieht es mit dem Verkehrsaufkommen aus?
Autonome Fahrzeuge werden künftig auf unseren Strassen fahren, auch wenn sich die Experten nicht einig sind wann. Sie werden Teil einer Mobilitätskette sein und Sicherheit, Effizienz sowie Komfort erhöhen. Aber mit autonomen Fahrzeugen kommen auch neue Risiken auf uns zu. Es braucht Pilotprojekte, um Unsicherheiten bei der Bevölkerung zu zerstreuen, Begeisterung zu wecken und neue Mobilitätskonzepte in den Köpfen zu verankern.
Auskunft:
Dr. Claudia Schärer, Leiterin Früherkennung, Tel. +41 44 226 50 20, claudia.schaerer(at)satw.ch
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